50 Jahre und weiter - Festakt
Laudatio - Horst Bröder
Verehrte Gäste, liebe Freundinnen und Freunde. Ich möchte Sie ebenfalls zu unsere
Jubiläumsfeier 50 Jahre Lotsen begrüßen. Beginnen werde ich gleich mit einer Frage:
Wer sind diese Lotsen?
Laut unserer Webseite sind wir...
„Unser Freundeskreis, gegr. 1963 als e. V. zur Betreuung alkoholgefährdeter Menschen, ist eine Selbsthilfegruppe für Alkohol- und
Medikamentenabhängige und deren Angehörige mit dem Ziel, uns selbst und unseren Mitmenschen durch Aufklärung, Beratung, Betreuung
und speziell bei den durch die Suchtkrankheit auftretenden Problemen zu helfen und ein Leben in Abstinenz vom Suchtmittel zu führen.“
Für mich hat sich zuerst mal folgende Frage gestellt: Wie gestalte ich als relativer Frischling bei den Lotsen eine Laudatio auf das 50 jährige
Jubiläum des Freundeskreises Mannheim „Die Lotsen“? Wie lobt und preist man eine Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, dass sich ihre
Mitglieder selbst und Anderen mit Hilfe zur Selbsthilfe helfen wollen? Außerdem muss ich darauf hoffen verstanden zu werden, denn ich bin
kein Badener sondern ein Hesse :-)
Zuerst berichte Ich, wie ich selbst zu den Lotsen gekommen bin. - Nicht unbedingt freiwillig, ich bin mit dem Status eines Angehörigen erstmals
in eine Gruppe gegangen. Es war mir auch überhaupt nicht klar, was mich dort erwartet und wen ich da so antreffe.
Was habe ich in der Gruppe gelernt? - Ich bin mit sehr viel Offenheit und ohne jegliche Vorurteile aufgenommen worden. Es wurde nie Druck ausgeübt
und ich wurde ernst genommen. Ich konnte mich an den Diskussionen beteiligen oder brauchte auch nur zuzuhören.
Mein persönliches Fazit: Wir treffen uns regelmäßig, um unsere Erfahrungen und Erkenntnisse auszutauschen. Durch ständigen Kontakt mit den
mittlerweile trockenen Lotsen und deren Angehörigen entstehen Freundschaften und das Gefühl einer Gemeinschaft. Wir führen intensive
Einzel- und Gruppengespräche.
Angehörige sind in die Gruppenarbeit voll integriert, um das Verständnis für die Krankheit zu fördern und neue Grundlagen in zwischenmenschlichen,
meist partnerschaftlichen Bindungen, aufzubauen. Neue profitieren von den Erfahrungen der Betroffenen und deren Angehörigen. In der Gemeinschaft
der Lotsen lernen sie wieder, sich sicher im Leben zu bewegen und auch verlorene gegangene Selbstsicherheit zurück zu gewinnen.
Eine „Behandlung“ bzw. „Therapie“ im sozialen oder medizinischen Sinne darf allerdings niemand von uns erwarten. Wir haben aber Menschlichkeit,
tiefes emotionales Verständnis, tiefes Mitgefühl. Wir sind in der Lage, den Anderen auf einer Ebene zu verstehen, ihm auf einer Ebene zu begegnen,
die einem Therapeuten verschlossen bleibt, denn wir haben selbst erlebt, was Sucht ist, wir haben es an Leib und Seele erfahren.
Bei uns trifft man Frauen und Männer aus allen Schichten, jeder Religion und Geisteshaltung, jeder Herkunft und Nationalität, man trifft Junge
und Ältere. Wir weisen niemanden zurück, Sucht zieht sich durch alle Gruppen, in die man Menschen einteilen mag. Was ein Mensch ist,
ist uns egal, nur, dass er eben ist, was er ist; ein Mensch mit allen Stärken und Schwächen; ein Mensch, ein Leben und damit unendlich wertvoll.
Eine Passage aus dem Grußwort unseres Freundes Wolfgang Weidenauer von Nova Vita finde ich besonders zutreffend: „‚Freundeskreisfreunde‘ das ist
die Familie, die man sich selbst aussuchen kann.“ Und wir haben uns die Familie ausgesucht, in der man uns versteht, in der von niemandem
Leistung gefordert wird, um angenommen zu sein, in der wir einfach sein dürfen wie wir sind und was wir sind, in der wir uns entwickeln
dürfen aber nicht müssen, in der einfach Menschen mit Menschen zusammen sind, für sich selbst.
*** Danke ***
Nach meiner mittlerweile 8 jährigen Zugehörigkeit zu den Lotsen danke ich meiner Gruppenleiterin Doris, die leider aus persönlichen Gründen
nicht anwesend sein kann, und ich danke ihr stellvertretend für alle anderen Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter! Ich habe bei ihr an der
Basis miterlebt, mit wie viel Engagement ihr Freundinnen und Freunde der Lotsen Euch für jeden Einzelnen in Euren Gruppen einsetzt.
Über 20 Gruppenleiterinnen, Gruppenleiter sowie weitere Gruppenmitglieder engagieren sich auch noch außerhalb ihrer Gruppenarbeit. Sie besuchen
und leiten Informationsgruppen im Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim und im Zentrum für Psychiatrie Nordbaden in Wiesloch.
Die Lotsen präsentieren sich auf öffentlichen Veranstaltungen wie dem Selbsthilfegruppentag im Stadthaus oder klären Schulklassen auf. Sie besuchen
Seminare zur persönlichen Weiterbildung und um dieses Wissen auch wieder in die Gruppenarbeit einzubringen.
Über die eigentlichen Gesprächsgruppen hinaus, die die unabdingbare Basis für unsere Selbsthilfe waren, sind und bleiben, wollen wir mehr,
gehören zusammen als die Familie, die wir uns selber aussuchten. Zu gemeinsamen Aktivitäten über unsere Gruppen hinaus gehören Sport,
gemeinsames Frühstück, Spielenachmittage, Gruppenklausuren über Wochenenden. Dabei unterliegen wir auch einem Wandel. Manches, wie die
Quartalsgeburtstage, verschwindet dabei auch, dafür entsteht neues, unser Grillfest. Manches, eine gemeinsame Weihnachtsfeier, verschwindet
und wird dann vermisst und so feiern wir Weihnachten nun wieder gemeinsam. Höhepunkt sind unsere Jahresausflüge, mal ein einfach Tagesausflug,
mal der Besuch eine Musicals, wie in der jüngerer Vergangenheit der Starlight Express in Bochum.
Was uns motiviert das zu tun? - Wir möchten zeigen und leben, dass Spaß und Freude auch ohne Suchtmittel möglich sind, tragen so zu unserer
Wiedereingliederung in die Gesellschaft aktiv für uns selber bei. Und, das ist die ganz große Motivation dahinter, wir sind nicht einfach eine
Selbsthilfegruppe, wie sind Freunde. Als „Die Lotsen“ kennt man uns und das ist schön so, aber wir sind in aller erster Linie Freunde, ein
Freundeskreis und das ist mehr als ein Name, das ist unsere Familie. Ehrliche Freundschaft, Liebe für unseren Nächsten, im Sinne christlicher
Nächstenliebe, die sich nicht auf irgendeine Religion beschränkt, sondern sie aus unseren Herzen für alle Menschen kommt, hat uns getrieben,
treibt „Die Lotsen“, wird uns weiter treiben. Das ist kein Antreiben von außen, das ist ein innerlicher Antrieb, der die Lotsen erfüllt.
Zur Historie der Lotsen
An dieser Stelle verweisen wir auf unsere Chronik, die unser Laudator Horst Bröder
in Ihren Eckpunkten als historischen Rückblick beleuchtete.
Laudator Herr Bröder
Die Menschen...
Die Liste der Vorsitzenden ist nicht kurz, aber auch nicht so lang, um keine Konstanz zu zeigen. Über 30 Jahre haben Edeltraud und Fritz Dömming
die Geschicke des Lotsenschiffs gesteuert oft in einer Aufopferung ihrer selbst, die nur sehr wenige Menschen auf dieser Welt aufbringen.
Beginnend bei Albert Korn sind dies die zwei Menschen, die „Die Lotsen“ stark machten und ab 2007 das Steuer dann übergaben an die heutigen
Vorsitzenden Sheila und Heiko Küffen.
Albert Korn, Dr. Dorothea Roth, Otto Liede, Günter Schwefel, Reinhold Mestres, Fritz Dömming, Wilhelm Palme, Karl Wassmuth, Walter Pawletzki,
Edeltraud Dömming, Wilfried Brüderlein, Lilo Kaffitz, Jenni Walter, Hans Jacobs, Heiko Küffen, Claudia Kern, Sheila Küffen, Hilde Hess, Herbert
Feistner, Ernst Freytag, Frau Marianne Schwefel, Doris Stahl, Edelgard Mall, Frau Ursula Herriger - so liest sich die Liste unserer Vorsitzenden,
Ehrenvorsitzenden und Ehrenmitglieder. Es waren und sind großartige Menschen, die sich immer für ihren Nächsten einsetzten, es zum Teil bis
heute tun. Bernd Lauer und Helmut Ludwig: Diese Namen fehlen müssen aber genannt werden. Es sind Freunde, die zu früh starben, um mit einer
Ehrenmitgliedschaft die Anerkennung aller Lotsen zu bekommen.
Öffentliches Wirken, an sich wachsen, sich selbst und anderen in ein sinnerfülltes Leben zurück helfen, das machte das Lotsenschiff aus, wird es
immer ausmachen. Es ist hell, es gibt viel Licht. Wenn auch nicht technisch zwangsläufig, so sind die Lotsen aber doch auch Menschen und so gab
es auch in 50 Jahren Schatten durch das Licht. Immer wieder gab es Streits, Mitglieder spalteten sich in eigene Gruppen ab. Die Lotsen waren
Mitbegründer der Landesarbeitsgemeinschaft der Freundeskreise in Baden, um im diesem Zusammenschluss mit größerer Stimmgewaltigkeit sprechen
zu können, mehr Möglichkeiten des sich Entwickelns zu haben. Und genau im diesem Rahmen gab es 1999 heftigen Schreit, der von allen Seiten
mit hässlichen Worten, die nichts mehr mit Freundschaft zu hatten, geführt wurde. Wie schon vorher trennten sich Mitglieder ab, verließen
zornig mit Donnergetöse die Räume der Lotsen. Die Lotsen traten aus der Landesarbeitsgemeinschaft aus.
Die Wunden sind noch nicht alle verheilt, aber heute sitzen die, die sich damals abspalteten hier und feiern zusammen mit den Lotsen 50 Jahre
Suchtkrankenhilfe. Sie sind willkommene Freunde bei Freunden, vereint auch durch die Mitgliedschaft im Landesverband, dem die Lotsen wieder
beitraten.
Das da, wo Schatten ist, auch Licht sein muss, das wiederum ist eine technische Zwangsläufigkeit. Aus einem hässlichen Streit entstand Neues,
neue Selbsthilfegruppen, die nun die Hilfslandschaft bereichern. Nach hässlichen Streitworten zeigten nun alle Seite ihren Willen wieder zu
einem freundschaftlichen vertrauensvollen Miteinander.
Streit ist menschlich, auch dass er hässlich wird ist menschlich. Aus einem Streit mit Neuem hervor zu gehen und ihn in Freundschaft beizulegen,
das ist menschliche Größe, die die Freunde der Lotsen und sie selbst auszeichnen.
Frage: Was sind die Lotsen?
Was sind die, die sich hier feiern also? Suchtkranke und ihre Angehörigen? - Suchtkranke sind charakterschwache Versoffene und sonst wie
Bedröhnte mit ihren dummen Angehörigen, die ihnen auch noch Händchen halten - und die wollen sich feiern, feiern dass sie dieses Spielchen
schon seit 50 Jahren treiben, rumpalavern und deswegen vielleicht mal einen Schluck weniger nehmen?
Frage: Ist da wirklich so???
- Diese Menschen sind abstinent und haben durch ihre Gemeinschaft ihr Leben wieder in den Griff bekommen.
- Mitgliedschaft im Diakonischen Werk Baden
- Gründungsmitglied der ELAS
- Zusammenschluss mit Freunden in Baden
- Mitgliedschaft im Gesundheitstreffpunkt Mannheim
- Sprecher der Regionalen Arbeitsgemeinschaft
- Vertretung der Suchtselbsthilfe in der Steuerungsgruppe des Arbeitskreises Drogen- und Suchtprophylaxe der Stadt Mannheim
- Vertretung bei der Stadt Mannheim als sachkundige Bürgerin
- Mehrfache Auszeichnung des Landes Baden-Württemberg für bürgerschaftliches Engagement
- Edeltraud und Fritz Dömming: Goldenes Kronenkreuz der Diakonie
- Albert Korn: Bundesverdienstkreuz
- Edeltraud Dömming: Bundesverdienstkreuz
- Fritz Dömming: Bundesverdienstkreuz
Diese Menschen sind abstinent und haben durch ihre Gemeinschaft ihr Leben wieder
in den Griff bekommen. UND - Diese Menschen haben begonnen daran zu arbeiten, dass diese Welt für alle zu einem glücklicheren Ort wird.
Die, die sich hier feiern, sind also keine charakterlosen Säufer,
die, die sich hier feiern wollen kein Geld,
Die, die sich hier feiern sind schlichtweg eins:
Diese Menschen sind Helden!
Diese Menschen möchten sich hier feiern. Ich kann Ihnen nur eins sagen, nach meinem Empfinden: Ehren Sie diese Menschen, feiern Sie mit ihnen.
Diese Menschen, die sich „Die Lotsen“ nennen, haben das verdient!
Ihr alle meine Freundinnen und Freunde der Lotsen, habt das verdient!
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