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Freundeskreise
gehören als Selbsthilfegruppe zur sogenannten therapeutischen kette,
dem Therapieverbund als Hilfe für Suchtkranke. Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter von Freundeskreisen habe oft selbst leidvolle Erfahrungen
mir der Sucht gemacht. Gerade darum sind sie besonders geeignet,
Suchtkranke zu verstehen und ihnen zu helfen. Die Arbeit dieser
Gruppen ist vielseitig. Einen lebendigen Einblick in den Alltag
der Selbsthilfegruppe vermittelt die Autorin mit ihrem nachstehenden
Beitrag. "Ich krieg meinen Führerschein nicht",
sagt Werner. Für ihn ist das gleichbedeutend mit Arbeitslosigkeit.
Wer bei einem Schlüsseldienst nicht mobil ist, muß zu Hause bleiben.
Trotz bestandenem Test. Ein halbes Jahr lang trocken sein, reicht
nicht. Denn Werner ist Alkoholiker und damit lebenslang "krank".
Sein Problem wird heute in der Freundeskreisgruppe diskutiert. Werner
hat gerne getrunken, hat sich, statt zur Arbeit zu gehen, in sein
Gartenhäuschen eingeschlossen und sich´s mit etlichen Bieren gutgehen
lassen: Alleinsein, kein Streß. Werner wachte erst aus seinem Traumrausch
auf, als er seine Arbeit verlor, seine Frau sich von ihm trennte
und seine Tochter nicht mehr mit ihm sprechen wollte. Erst da merkte
er, dass er vom alkoholischen Stoff, aus dem die Träume sind, abhängig
geworden war - und es allein nicht mehr schaffte. Nach Entzug und
Langzeittherapie ist er jetzt trocken und will sein Leben wieder
aktiv in die Hand nehmen. Im Freundeskreis fühlt er sich wohl, weil
er hier mit Leuten reden kann, die ihn verstehen. "
Es bringt hier echt was" meint auch Edelgard, seit knapp sechs
Monaten trocken und seit vier Monaten im Freundeskreis. Sie hat
18 Jahre lang getrunken: "Aber ich hab nie geschwankt oder
bin hingefallen." Ihre Arbeit bewältigte sie einigermaßen.
Morgens ½ Liter Wein sorgte für den richtigen Alkoholpegel, zwei
Schorle in der Mittagspause halfen, den Tag durchzustehen. Schwierigkeiten
bereitete das erste Glas am Morgen, wenn die Hände zittern und der
Magen den ersten Schluck nicht behalten kann.
Doch Edelgard
hatte nicht gegen ihre Trunkenheit, bis sie entdeckte, dass sie
ohne nicht mehr leben konnte, dass sie ihren Partner belog und heimliche
Vorräte anschaffte. Hilde traute man höchtens ein Gläschen
Likör beim Kaffeklatsch zu. Aber süchtig? Als es den Ehemann immer
häufiger zu Freunden zog und er Hildes Haushalt nur als Durchsgangs-
und Waschstation ansah, als er Hilde die Scheidung ausredete und
trotzdem wegblieb, als er sie schlug, da sah der Alltag für Hilde
nach einem Glas Wein rosiger aus. Aber nicht lange, dann war ihr
angeknacktes Selbstwertgefühl endgültig gebrochen. Erst als sie
ganz unten war, erkannte sie, dass sich etwas ändern müsse. Sie
ist jetzt seit zwei Jahren beim "Freundeskreis" und lebt
jetzt allein, aber glücklich. Karl fing ganz harmlos an.
Schon vor seiner Heirat, als junger Bursche, trank er gerne einen
über den Durst. Im Laufe der Jahre kam es im Abschnitt von vier
Wochen, später alle zwei und mehr zum Rausch. " ich bi ndann
gar nicht mehr mit im weggegangen" sagt Karls Frau Eva. "
ich hab halt immer gelesen und Handarbeiten gemacht." Erst
als er beinache seine Arbeit verlor und seine Frau wirklich keine
Lust mehr auf einen Trunkenbold hatte, unterzog er sich einem Entzug
im Krankenhaus und einer Therapie. Da stellte sich heraus, dass
der aufbrausende und jähzornige Karl seine Kindheit unter einem
prügelden und grausamen Vater - nie Lob, nie Zuwendung - nicht verarbeitet
hatte. Wie fühlt er sich heute? "Prima", meint Karl, "die
Ehe ist jetzt viel schöner". Den Freundeskreis will er nicht
missen, weil er hier viele Freunde gefunden hat. Sehr viele "solcher
Fälle" findet man in Freundelkreisen. Aber was sind und was
tun Freundeskreise eigentlich?
Alle
Gruppenmitglieder haben
- ähnliche
Erfahrungen / Schwierigkeiten
- Prinzip:
Selbstbetroffenheit
- sind
gleichgestellt
- Prinzip:
Gleichberechtigung
- bestimmen
über sich selbst
- Prinzip:
Selbstbestimmung
- entscheiden
eigenverantwortlich
- Prinzip:
Eigenverantwortung
- unterstehen
der Gruppenschweigepflicht,
das heißt alles, was
in der Gruppe besprochen wird, bleibt in der Gruppe.
Freundeskreisgruppen
lassen sich nicht in ein einheitliches Konzept einbinden. Die Arbeit
jeder einzelnen Gurppe ist unterschiedlich und damit auch vielfältig.
Die
Gruppe hilft
- durch
das Gespräch in einer angstfreien Atmosphäre,
in der
Offenheit Freiwilligkeit Gleichheit besteht und der
Wille zu persönlicher Veränderung und Wachstum,
- durch
neue Erfahrungen mit sich und anderen,
- sich
selbst verstehen lernen
- den
anderen verstehen lernen.
Freundeskreise
sind frei von engen Ritualen und eingeschränkten Richtlinien. Dennoch
gibt es gemeinsame Grundwerte als Basis ihrer Arbeit:
Einbeziehung der Angehörigen
Da
Freundeskreise Suchterkrankung als Familienkrankheit sehen, bedeutet
dies, dass von Anfang an Familienangehörige, Ehepartner, Kinder
und persönliche Freunde als Mitbetroffene in die Gruppenarbeit einbezogen
werden. Immer mehr Freundeskreise machen Angebote für Kinder und
Jugendliche, zum Beispiel Freizeiten, Wochenenden; die Kinder sind
bei Ausflügen und geselligen Aktivitäten dabei. Freundeskreise
sehen im Angebot ihrer Hilfe in erster Linie den Suchtkranken und
seine Familie. Unterschiedliche Glaubensrichtungen sind keine Hindernis
der Hilfe. Die Arbeit basiert auf dem Gebot der Nächstenhilfe.
Freundeskreis-Mitglieder bekennen sich in aller Öffentlichkeit zu
ihrer Suchterkrankung, sie machen Öffentlichkeitsarbeit, veranstalten
alkoholfreie Geselligkeiten etc. Offenheit bedeutet das Eingeständnis,
suchtkrank zu sein, aber auch, etwas gegen die Krankheit unternommen
zu haben.
Freiwillige Abstinenz als
Entscheidung zum Leben
Die Offenheit,
in dem sich der einzelne zu seiner Suchterkrankung und zur Gemeinschaft
der Freundeskreise bekennt, ermöglicht schließlich eine tolerante
Haltung zu den Genußmittlen. Freundeskreis-Mitglieder räumen jedem
die Freiheit des Umgangs mit Genußmitteln ein, der damit gefahrlos
umgehen kann. Sie warnen aber - aus de eigenen persönlichen Erfahrung
heraus - jeden vor möglichen Gefahren des Alkoholgebrauchs und -mißbrauchs
und bieten Hilfe an, wenn die gewünscht wird. Die Freundeskreise
gehören als Selbsthilfegruppe zur "therapeutischen Kette"
(Therapieverbund) der Hilfen für Suchtkranke. Die freiwilligen
Freundenkreismitarbeiter sind oft aufgrund ihrer Eigenerfahrung
als Betroffene und Angehörige besonders befähigt, Suchtkranke zur
Annahme von Hilfe zu motivieren, bei therapeutischen Maßnahmen zu
begleiten und Hilfestellung zu geben. Die Gruppenarbeit ist unverzichtbarer
Bestandteil und hauptsächlicher Wirkfaktor der Freundeskreisarbeit.
Suchtkranke und ihre Angehörigen kommen in der Gruppe mit Menschen
zusammen, die eine ähnliche Problemsituation zu bewältigen haben.
Das Erleben von Gemeinschaft, der Austausch gemeinsamer Erfahrungen
und Einsichten, aber auch das Austragen von Meinungsverschiedenheiten
bilden eine gute Grundlage für den Neuaufbau eines alkoholfreien
Lebens.
Edeltraud
Dömming ist die Ehrenvorsitzende der Landesgemeinschaft
der Freundeskreise in Baden und des Freundeskreises Mannheim
"Die Lotsen" e.V.
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