Ein Kind aus einer Suchtfamilie

Mein Name ist Sheila Küffen und ich bin das erwachsene Kind aus einer Suchtfamilie.

Eigentlich war ich nie Kind, ich war schon sehr früh erwachsen. Mein Vater hat fast immer getrunken, seit ich denken kann und auch schon vor meiner Geburt. Er hat jeden Tag getrunken, kam betrunken von der Arbeit. Neben wenigen Trinkpausen hat er getrunken bis er starb. Meine Mutter hat versucht den Alkoholismus meines Vaters zu bekämpfen. Sie hat kontrolliert, gestritten, dominiert, dirigiert, agiert, alle Verhaltensweisen von Co-Abhängigen gezeigt. Selbst war sie körperlich schwer krank und erwartete, dass sie nicht sehr alt werden würde. Da sie mit den Krankheiten in unserer Familie überfordert war, äußerte sie öfters auch Selbstmordgedanken mir gegenüber. Sie hat stets darauf geachtet, dass ich früh erwachsen und selbständig wurde.

Ich war Einzelkind. Das verbindet man häufig damit, dass man dann sehr verwöhnt aufwächst. Aber als Einzelkind hatte ich auch alleine die Verantwortung für den Zusammenhalt meiner Familie. Ich versuchte meine Mutter zu stützen, zu unterstützen, teilweise auch zu pflegen, für sie da zu sein, wenn sie reden wollte. Ich fühlte mich zuständig für eine ausgeglichene Atmosphäre zuhause. Wenn mein Vater heim kam, konnte ich bei den ersten Schritten, beim Öffnen der Tür schon fühlen, wie seine Stimmung ist. Entweder gut beschwipst oder depressiv oder angriffslustig und aggressiv. Je nachdem wie meine Mutter dann an dem Tag drauf war, war der Abend friedlich oder es gab Streit und man ging sich in der Wohnung aus dem Weg oder es eskalierte und meine Mutter verließ die Wohnung ohne mich. Sie war sich sicher, dass mein Vater mir nichts tun würde, aber wenn sie bliebe, würde der Streit weiter eskalieren. Wie ich mit meinem streitgeladenen betrunkenen Vater dann umginge, wie es mir gefühlsmäßig ginge, daran konnte sie damals nicht denken.

Gut getan hat mir das alles nicht. Ich habe meine Eltern beide lieb, ich habe meine Eltern beide gebraucht, aber zeitweise hatte ich keinen von beiden und musste für sie sorgen. Also ein Leben mit vertauschten Rollen.

Geändert hat sich das alles erst, als ich im Alter von 21 Jahren einen Zusammenbruch hatte und mir Hilfe in einer Therapieeinrichtung suchte. Dort habe ich über meine Situation offen reden dürfen, erzählen dürfen wie es mir wirklich geht, ohne Angst vor Repressionen zu haben. Ich nutzte die Gelegenheit mein Leben in meine eigenen Hände zu nehmen und habe mir eine eigene Wohnung gesucht. Nach der stationären Therapie habe ich anschließend noch 4 Jahre ambulant eine Therapeutin besucht. Während der Therapiezeit musste ich erst einmal lernen, dass meine Gefühle da sein dürfen, dass ich damit umgehen lernen kann und dass ich keine Schuld an den Krankheiten meiner Eltern habe. Gegen Ende der Therapiezeit merkte ich, dass ich den Austausch mit ähnlich Betroffenen brauche. Ich las einen Artikel über Kinder aus Suchtfamilien, der mich sehr aufwühlte und ich suchte eine Selbsthilfegruppe auf. Hier traf ich auf gemischte Gruppen. Betroffene und Mitbetroffene, Suchtkranke und Angehörige sitzen in der Gruppe und ich kann mich offen mit ihnen unterhalten. Wir lernen alle voneinander, lernen den anderen besser zu verstehen, lernen sich selbst besser zu verstehen, lernen zu verzeihen, lernen Schuldgefühle abzulegen.

Heute weiß ich besser mit meinen Gefühlen umzugehen, gut für mich zu sorgen. Mir ist klar, dass ich immer ein Kind aus einer Suchtfamilie bleibe. Ich bin anders aufgewachsen und muss ein Leben lang an mir arbeiten. Es ist immer wieder eine Überwindung mein Augenmerk auf mich zu legen, darauf zu achten, dass es mir gut geht. Dennoch verfalle ich auch heute noch in eine Helferrolle, versuche alles um Anerkennung von außen zu bekommen, versuche alles zu managen, fühle mich für andere verantwortlich. Oft merke ich dann, dass ich Dinge wiederhole, die ich in meiner Familie so erlebt habe, und so gelöst habe um zu überleben. Hier helfen mir dann meine Freunde aus der Selbsthilfegruppe wieder genauer auf meine Gefühle zu achten, sie spiegeln mir wieder, wie ich auf sie wirke. Dadurch habe ich die Möglichkeit zur Selbstreflexion und kann gefährdende Verhaltensweisen schneller beenden oder in normale Maßstäbe zurückschrauben.

Ich würde mir wünschen, dass mehr erwachsene Kinder aus Suchtfamilien für sich einstehen lernen und offen über ihre vergangene und aktuelle Situation in Selbsthilfegruppen reden können. Ich weiß aus jetzt über 13 Jahren Erfahrung, dass Selbsthilfe in der Gruppe wirkt und funktioniert!

Sheila Küffen
2. Vorsitzende

zurück zur Übersicht

|  lotsen | wir über uns | chronik | 50 jahre lotsen | der vorstand | kontakt |
|  gruppen | aktuelles | termine | freizeit | alkohol | medikamente |
|  mediensucht | links | mixgetränke | impressum/datenschutz | sitemap | seitenanfang |