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Wenn
der Alkoholiker offensichtlich unzufrieden mit sich selbst ist,
aber nicht weiß warum, zeigt sich die fehlende Selbsterkenntnis
ganz deutlich. Sehr oft scheinen die Schwierigkeiten seines
vergangenen Lebens die Gegenwart zu vergiften, und sie wirken
sich direkt auf sein augenblickliches Gefühl aus. Er mißbilligt
streng sein Verhalten, das die Gesellschaft als niedrig, unkontrolliert,
selbstsüchtig und verachtenswert bezeichnet. Aber er kann und
will sich nicht die Impulse zu eigen machen, die solch ein Verhalten
lenken. Anstatt die Wirklichkeit anzunehmen, versucht er lieber,
seine Selbstachtung zu retten, indem er sagt: "Das alles
über mich war und kann gar nicht wahr sein." Aber dieser
Schachzug ist nicht ganz erfolgreich, weil er erkennt, dass
gewisse Gefühle, Regungen, Wünsche usw. unannehmbar für ihn
sind; so ergibt sich ein Widerspruch aus dem was er unklar als
Wahrheit erkennt (über seine Gefühle, Regungen, Wünsche usw.)
und was ihm seine Selbstachtung erlaubt, als Wahrheit anzunehmen.
Dieser Widerspruch ist untragbar auf jeder bewußten Ebene; so
verdrängt er ihn aus seinem Bewußtsein und nimmt zu verschiedenen
Manövern Zuflucht, die verhindern sollen, ihn offen einzugestehen.
Soweit es diesen Manövern gelingt, das zu verhüllen, was der
Selbstachtung des Alkoholikers im Wege steht, wird er gar nicht
merken, dass er die ausführt.
Es
kann sogar zu einem regelrechten Leugnen der Wahrheit über sich
gegenüber sich selbst und anderen kommen. Er kann manchmal alle
Tatsachen wissen, wird ihre wirkliche Bedeutung aber doch nicht
richtig erkenne. Er sieht nicht den tieferen Sinn einer Feststellung
wie: ja, ich bin jetzt drei Jahre bei der Gruppe und es hat
mir wirklich sehr geholfen, obwohl ich neunmal gekippt bin."
Er
fängt oft an, spitzfindig zu argumentieren. Bei diesem Manöver
versucht er, seine Selbstachtung dadurch abzustützen, dass er
die Kritik anderer durch Scheingründe zerstreut. Wie abwegig
seine Verhaltensweise auch sein mag, der Alkoholiker rechtfertigt
sich jedes Mal. So hat er auch zahlreiche Gründe, die Gruppe
zu meiden, und jeder Grund kann einleuchtend sein, aber die
gesamte Argumentation ist nur dazu da, um die tiefere Wahrheit
zu leugnen, das er den Freundeskreis oder andere Hilfe von außen
braucht.
Der
Alkoholiker, der seine eigene Unverantwortlichkeit wegargumentiert,
wird wahrscheinlich auch die Verhaltensweise anderer falsch
einschätzen. Obwohl er seine Unzulänglichkeiten nicht leugnet,
versucht er, die Aufmerksamkeit von ihnen dadurch abzulenken,
dass er in großer Ausführlichkeit die Fehler seiner Familie,
seiner Freunde, seines Arbeitgebers und der Behörden aufzählt.
Dies geht so weit, dass er sich darin erschöpft, andere mit
sich selbst zu vergleichen. Er versagt, weil er den klaren Blick
verliert; er ist nicht wirklich an einer Wandlung interessiert,
sondern will vielmehr mit einiger Berechtigung sagen können-
"Nun, ich bin gar nicht so verschieden von anderen."
Das
Manöver der Übertragung ist oberflächlich ganz ähnlich, aber
in Wirklichkeit viel unnormaler. Hier überträgt der Alkoholiker
auf andere, was er selbst nicht annehmen kann. Diese Taktik
setzt ein hohes Maß fehlender Selbsterkenntnis voraus, weil
der Alkoholiker versucht, sich seiner untragbaren Empfindungen
und Motive dadurch zu entledigen, dass er sie in anderen "erkennt".
Er interpretiert ihr Verhalten als von Gefühlen motiviert, die
er im Unterbewußtsein als falsch bei sich selbst erkennen muß;
oder er unterstellt anderen, eine äußerst unkritische Haltung
anzunehmen, die in Wirklichkeit die eigene Haltung gegen sich
selbst ist. Er kann im Rahmen dieses Manövers andere anklagen,
ihn betrunken machen zu wollen; er kann Gruppenmitglieder des
Trinkens bezichtigen, oder er kann anderen vorwerfen, dass sie
ihn in Verdacht haben zu trinken.
In
gewissen Situationen kann der Alkoholiker übermäßig reagieren.
Dies ist das klassische Verhalten des Alkoholikers im trockenen
Rausch. Dabei reagiert der Alkoholiker auf ein gewöhnlich unbedeutendes
Ereignis oder Mißgeschick mit einer offensichtlich unan gemessenen
Gefühlsintensität. Er kann von haßerfüllter Empfindlichkeit
gegenüber Vorgesetzten schon aus einem nicht ersichtlichen oder
belanglosen Grunde sein. Er kann auf das Verlieren beim Kartenspiel
oder das Verpassen eines Telefonanrufes mit außergewöhnlicher
Heftigkeit reagieren. Indem er das tut, scheint er aufgestaute
Enttäuschung, Zorn und Empfindlichkeit an einem Objekt zu entladen
oder in einer Situation, die ihn irgendwie an eine größere,
Enttäuschung in seinem Leben erinnert. Im Falle des Alkoholikers
gibt es wenig Zweifel über die Art dieser vorherrschenden Enttäuschung.
Andererseits
scheinen einige Alkoholiker, die den trockenen Rausch an sich
selbst erfahren, alle Antworten auf ihre Probleme zu wissen.
Sie sind selten um Worte verlegen, wenn es zu einer Selbstdiagnose
kommt. Oft ist ihr
Wissen ziemlich eindrucksvoll, und ihre scheinbare Selbstsicherheit
(im Gegensatz zum wirklichen Selbstverständnis)
ist überzeugend. Das
sind die Einsichtsvollen.
Dem
Phänomen der Einsicht zu folgen, ist ein weiterer Widerspruch
zwischen den Worten und Taten des Alkoholikers. Er scheint die
Kritik anzunehmen und spricht ausführlich über seine eigenen
Fehler. Aber seine Unfähigkeit, Worte in wirksame Taten umzusetzen,
ist offensichtlich. Die unmittelbare Wirkung der Einsicht besteht
darin, in anderen die Erwartung einer zukünftigen Besserung
zu erwecken. Nachdem er sein Problem formuliert und den Beweis
erbracht hat, dass er weiß, wie er es beseitigen kann, scheint
der Alkoholiker in der Lage zu sein, wirksame Maßnahmen für
sich selbst zu ergreifen, aber was er tut, gleicht niemals seinen
Versprechungen.
Die
Einsicht kann von der augenblicklichen Bereitschaft des Alkoholikers
herrühren, Unannehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen. Sein Stil
wird geprägt von einem Abgleiten auf den Weg des geringsten
Widerstands, sowohl in seiner privaten Umwelt als auch an seinem
Arbeitsplatz. Als ein geübter und hervorragender Vertreter des
weichen Kurses, der bewußt die Alternative wählt, die das geringste
Maß an Unannehmlichkeit im Augenblick verspricht, wenn er Entscheidungen,
die gefällt werden müssen gegenübersteht, ist der Alkoholiker
uneins mit dem, was er und die anderen als den verantwortlichen
Weg erkannt
haben.
Sein Verhalten ist insofern voraussagbar, als er jedes Treffen
in diesem Spiel des Ausweichens "gewinnt'. Im Zusammenhang
mit den Freundeskreisen ist sogar die Form dieser Einsicht vorgezeichnet,
um die Unannehmlichkeiten möglichst klein zu halten; er benutzt
den recht spezialisierten Wortschatz der Freundeskreise und
spricht über seine "Charakterfehler" oder sagt, dass
er mit dem Leben nicht fertig wird. Dabei weiß er ganz genau,
dass er sich, wenn er anders sprechen würde, den Unmut seiner
Gruppen-Freunde zuziehen und sich Unannehmlichkeiten bereiten
würde. Seine Einsicht ist nur ein Lippenbekenntnis gegenüber
den Prinzipien, die ihm in Wirklichkeit die Erleichterung bringen
könnten, derer er bedarf. Das Sprechen über seine Fehler scheint
für den Augenblick die Notwendigkeit zu beseitigen, etwas gegen
sie zu tun. Was hier im Hintergrund an der Arbeit ist, ist ein
schwaches Bewußtsein in ihm, das nach Wandlung drängt. Die Einsicht
ist also im Grunde den anderen Abwehrmanövern darin ähnlich,
dass sie dafür bestimmt ist, die volle Erfassung einer unannehmbaren
Situation zu verhindern.
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